Am Samstagabend war vieles anders beim Kissinger Sommer: Alexander Sladkowsky anstelle des erkrankten Valery Gergiev am Dirigentenpult, keine Mezzosopranistin, sondern der Pianist Behzod Abduraimov als Solist, ein geändertes Programm, viele leere Plätze im Max-Littmann-Saal.
Doch es gab keinerlei Anlass zur Enttäuschung, im Gegenteil: Das Publikum schloss sich zwar nicht zu einem fußballfiebrigen Autokorso zusammen, äußerte seine Begeisterung für einen überwältigenden Abend jedoch lautstark und lange.
Höchste Virtuosität
Franz Schuberts Symphonie Nr. 9 C-Dur: ein groß angelegtes und mächtiges Werk. Mit dem Orchester der Russisch-Deutschen Musikakademie gelang dem russischen Dirigenten ein interpretatorischer Wurf. Sladkowsky konnte auf der Klaviatur des jung besetzten, differenziert reagierenden und geschlossen agierenden Orchesters mit höchster dirigentischer Virtuosität spielen. Zupackend, frisch, unverbraucht und spielfreudig wurde da musiziert, enorme Kraft rollte aus immer wieder wuchtig aufbrandenden Steigerungen in den Saal.
Ebenso aussagestark tänzelten graziöse, leichtfüßige Motive, ordnete Sladkowsky akribisch durchdachte Details zu Zusammenhängen, legte Strukturen frei, schuf eine mitreißende, vollkommen schlüssige, dichte Interpretation. Die Musiker spielten bis zur letzten Sekunde so einsatzfreudig, als ginge es um ihr Leben, oft flogen interagierende Blicke und Lächeln hin und her. Der musikstrotzende Sladkowsky selbst konnte seine Energie hörbar nicht von den Rundfunkmikrofonen fernhalten. Ein züngelndes Funkenspiel der Musik war das, tief der Eindruck!
Als samtpfotig wirbelndes Tastentier hatte sich der Gewinner des Kissinger Klavierolymps 2010, Behzod Abduraimov, vor der Pause starken Beifall der Zuhörer erobert. Mit Sergei Rachmaninows Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 verursachte der junge Usbeke in völliger Harmonie mit dem Orchester bereits nach wenigen Augenblicken Gänsehautgefühl, wogende musikalische Tsunamis stürzten den Hörer in einen Taumel an Wohlklang.
Jede Feinheit war zu hören, Abduraimovs leichtfingrige Virtuosität lässt kristallines Perlen ebenso zu wie vollmundiges Rauschen. Mondbeschienen leuchtete sein Solopart vor dem Orchesterfirmament, mischte sich mit dessen mal nebelverhangener, mal kraftvoller und satter Abtönung.
Hier wie auch bei Schubert gelangen übrigens erstklassige Orchestersoli. Als Zugabe erklatschte sich das Publikum Franz Liszts „La campanella“, silbrig und frappierend locker, der dionysische Schluss von Bravorufen gefolgt.
Source: https://www.mainpost.de/ueberregional/kulturwelt/kultur/Taumel-an-Wohlklang-beim-Kissinger-Sommer;art3809,9993070?mobileVersion=no
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